„Unschuld“ lässt niemanden kalt

Literatur17 (30)

Der Literaturkurs der Q2 wählte mit dem 2003 erstmals aufgeführten Drama „Unschuld“ von Dea Loher ein zeitgenössisches Werk, das auch auf professionellen Bühnen gespielt wird. In 17 Szenen sind Figuren zu sehen, deren Lebensläufe sich zunächst nur berühren, später jedoch enger miteinander verflochten werden. Schuld, Einsamkeit und die vergebliche Suche nach Liebe verbinden als zentrale Motive die einzelnen Szenen. Schuldig fühlen sich die beiden illegalen schwarzen Immigranten Elisio und Fadoul (Agustin Nogeira und Fabian Bock), weil sie eine ertrinkende Frau nicht retten konnten. Einsamkeit und Schuldgefühle treiben eine Frau (Larissa Felder) dazu, sich als Mutter eines Amokläufers auszugeben und dessen Schuld auf sich zu nehmen. Egoistisch drängt sich eine pflegebedürftige Mutter (Anna Kowal) in die junge Ehe ihrer Tochter (Emilia Fischer) und erhebt Anspruch auf Zuwendung. Der junge Ehemann (Niklas Enns) erweist sich seiner Frau gegenüber als völlig gefühlskalt und liebesunfähig und findet seine Erfüllung, indem er sich als Bestatter hingebungsvoll um Tote kümmert. Tod und Schuld ballen sich zusammen im mehrfach aufgegriffenen Motiv des Suizids. Zwei Selbstmörder (Robert Schreiber und Norman Thies) suchen verzweifelt nach Gründen, nicht vom Hochhaus zu springen – und finden diese nicht. Dieser Szene gegenübergestellt ist der beklemmende Chor erbarmungsloser Autofahrer, die nicht einsehen, warum sie für die Versuche, einen Menschen vor dem tödlichen Sprung von einer Autobahnbrücke zu retten, ihre Zeit opfern sollen. Die Verzweiflung über die „Unzuverlässigkeit der Welt“, die sich überall im Drama zeigt, ist deutlich zu spüren in den ätzenden Monologen der desillusionierten Philosophin Ella (Vicky Liberidou). Der Blick auf die Gesellschaft ist offensicht schonungslos – jedoch nicht ganz ohne Hoffnung. Lebensmut und Stärke zeigt ausgerechnet Absolut, eine blinde junge Frau (Lena Schlösser), die ihren Lebensunterhalt als Tänzerin in einer Bar verdient. Fadoul, der eine Plastiktüte voller Bargeld gefunden hat, bezahlt für Absolut eine Operation, mit der diese ihr Augenlicht  wiedererlangen soll. Vielleicht will Fadoul mit dieser Hilfsaktion seine Schuldgefühle besänftigen, vielleicht empfinden Absolut und Fadoul Liebe füreinander. Doch selbst diese Möglichkeit zum Glück steht in Frage: Absolut kann auch nach der Operation nicht sehen – oder will sie es vielleicht nicht angesichts des Zustands der Welt?

Offensichtlich hat der Literaturkurs kein leicht zugängliches Stück gewählt. Doch der Mut der Schülerinnen und Schüler und der Kursleiterin Julia Heuser hat sich ausgezahlt. Die Schauspieler überzeugten und zogen die Zuschauer in ihren Bann. Wenige, aber sorgfältig ausgewählte Requisiten unterstrichen die Aussagen der einzelnen Szenen. Eine gute Orientierung boten die auf den Bühnenhintergrund projizierten Bilder, die je nach Szene wechselten oder erneut auftauchten. Eine Tanzeinlage von sieben Schauspielerinnen vermittelte eindrucksvoll die Atmosphäre in der „Hafenbar“.

Nach der zweiten Aufführung des Stücks am 30.3.2017 hebt Anna Kowal vor allem den großen Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen in der Gruppe hervor. Dieses habe es den Beteiligten sehr erleichtert, auch schwierige und persönlich nahegehende Szenen zu spielen. „Frau Heuser hat uns mit Übungen auf das Spielen vorbereitet“, betont Anna außerdem. So sei nach einer gewissen Zeit klar gewesen, wer welche Rolle übernehmen soll und zu wem welche Rolle passt. Julia Heuser ihrerseits ist zu Recht stolz auf die Leistung und den großen Einsatz ihrer Schülerinnen und Schüler.

Das Publikum spendete viel Beifall für die rundum gelungene Aufführung.

SLo

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Besetzung
Elisio,

illegaler schwarzer Immigrant und Freund von Fadoul

Agustin Nogueira
Fadoul,

illegaler schwarzer Immigrant und Freund von Elisio

Fabian Bock
Frau Habersatt,

eine Alleinstehende

Larissa Felder
Absolut,

eine junge blinde Frau

Lena Schlösser
Rosa,

Frau von Franz

Emilia Fischer
Franz,

ein Versorger von Verstorbenen

Niklas Enns
Frau Zucker,

Rosas Mutter

Anna Kowal
Selbstmörder

vom Selbtmörderhochhaus

Robert Schreiber und Norman Thies
Ella,

emotionale Abspaltung einer alternden Philosophin

Vicky Liberidou
Helmut,

Ellas Mann

Klaus Stodden
Mann

einer vergewaltigten und getöteten Tochter

Klaus Stodden
Frau

einer vergewaltigten und getöteten Tochter

Beyza Ekin
Überlebende eines Amoklaufs,

Autofahrer

 

Julia Berchem, Beyza Ekin, Emilia Fischer, Anna Kowal, Katrin Küper, Vicky Liberidou, Laura Mutard, Julian Roman Navarro, Robert Schreiber, Klaus Stodden, Norman Thies
Tote I und II

 

Robert Schreiber und Norman Thies
Sanitäter beim Amoklauf

 

Anna Kowal
Zuhälter und Prostituierte im Bordell Julian Roman Navarro, Laura Mutard, Katrin Küper, Julia Berchem
Tänzer Ruth Bennemann, Jacqueline Anaeto, Kim Teuscher, Anna Rasselnberg, Zorana Timarac, Lena Malek, Janina Fricke

 

Videoschnitt / Bild Mitarbeit Jens Wisser, Julian Roman Navarro

 

Technik Robert Schreiber, Christoph Bergande, Julian Roman Navarro und das Technik-Team
Regie Julia Heuser