Kopfrechnen: Sinn und Unsinn einer uralten Kunst

„Kopfrechnen – was für ein Schrott!“

Mit diesem Ausruf reagieren Schüler der Mittelstufe auf das Ansinnen, irgendeine Aufgabe im Kopf zu rechnen. Es ist aber auch nur schwer nachvollziehbar, warum man im Zeitalter der Taschenrechner noch seinen eigenen Grips anstrengen sollte, um zum Beispiel herauszubekommen, wie teuer die letzte Spritztour war.

Daten: 610 km Fahrtstrecke, der Wagen verbraucht ca. 7,1l auf 100 km und der Liter Diesel kostet manchmal und auch zu bestimmten Tageszeiten 1,419 €.

Ergibt laut Taschenrechner 61,45689 €.

Der „Kopfrechner“ rechnet: 7*1,40 =7*7*0,2 ≈50*0,2=10, also kostet die Fahrt 61 €. Mein Physikprofessor hätte uns das Taschenrechnerergebnis um die Ohren gehauen; aus völlig ungenauen Ausgangsdaten ein Ergebnis auf fünf Stellen hinter dem Komma zu bestimmen, ist absoluter Unsinn! Wie in diesem Beispiel täuscht ein Taschenrechnerergebnis häufig eine Genauigkeit vor, die nichts mit den Eingabedaten zu tun hat.

Es gibt noch viele andere Gründe, trotz Taschenrechner das Kopfrechnen zu üben:

  • Man bekommt ein Gefühl für Größenordnungen, das heißt, man kann sofort erkennen, ob die Rechnung in einem Lokal stimmen kann oder wie groß der Unterschied zwischen einer Million und einer Milliarde ist. Ein Gefühl, das einigen Politikern abzugehen scheint.
  • Man erkennt im Supermarkt recht schnell, ob ein Sonderangebot mal wieder eine Ente ist und die Normalpackung billiger ist.
  • Das Gefühl für Größenordnungen schützt auch bei der Benutzung des Taschenrechners vor Eingabefehlern.
  • Alles was gegen das Kopfrechnen spricht, spricht auch gegen das Erlernen von Vokabeln einer Fremdsprache, schließlich gibt es elektronische Wörterbücher. Aber unterhaltet euch mal mit einem Engländer ohne Vokabelkenntnisse, aber mit einem Wörterbuch. Das Gespräch wäre recht öde.
  • Wie jedes Training erhöht auch die Übung zum Kopfrechnen die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns, in diesem Fall wird nachgewiesenermaßen das Kurzzeitgedächtnis trainiert.

Und natürlich ist Kopfrechnen auch beim Zahnarzt wichtig. Wenn ich bei meinem Zahnarzt im Behandlungsstuhl sitze und mal wieder gegen den Würgereiz ankämpfe, lässt er mich Kettenaufgaben rechnen. Es hilft.

 Wolfgang Seyfert
(Stellv. Schulleiter im Ruhestand)